Akut auftretende neurologische Probleme stellen im Kindesalter meist eine Notfallsituation dar und sind daher in der pädiatrischen Ambulanz häufig. Die Palette der Symptomatik ist breit und reicht vom akuten Kopfschmerz, Krampfanfällen, Paresen, Ataxien, Visusverlust bis hin zu Bewusstseinsveränderungen und enzephalitischem Verhalten. Der Schweregrad der Erkrankungen reicht vom harmlosen Affektkrampf über meist banale Fieberkrämpfe bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen wie Meningitiden, intrakraniellen Raumforderungen oder schweren Schädel-Hirn-Traumata.
In der Notfallsituation ist es für den zuständigen Arzt entscheidend, den pädiatrischen Neurostatus zu erheben, die wichtigsten Differentialdiagnosen zu kennen, erste Notfallmassnahmen zu beherrschen und rechtzeitig entscheiden zu können, den Patienten weiter abzuklären und bei Bedarf an einen Spezialisten oder ein geeignetes pädiatrisches Zentrum weiter zu schicken.
3-jähriger, bis anhin gesunder Knabe wird von seiner Mutter frühmorgens nicht ansprechbar im Bett aufgefunden. Er zuckt mit dem rechten Arm. Die Bewegung lässt sich nicht durchbrechen und sistiert nach 5 Minuten spontan. Anschliessende Müdigkeit. Auf der Notfallstation wird eine Körpertemperatur von 39°C gemessen. Der Allgemeinzustand ist gut und der Neurostatus normal. Nach 4-stündiger Überwachung bleibt der Knabe unauffällig und kann nach Instruktion der Eltern entlassen werden. Aufgrund des fokalen Krampfgeschehens handelt es sich um einen komplizierten Fieberkrampf, weshalb eine Woche später eine EEG-Untersuchung durchgeführt wurde, welche keine Anhaltspunkte für ein epileptisches Geschehen zeigt.
9-jähriges Mädchen, Kopfschmerzen seit mehreren Wochen zirka alle 15 Tage, frontal und meist einseitig, pulsierend, als Begleitsymptome treten jeweils Übelkeit und Erbrechen sowie Sensibilitätsstörungen auf. Vorstellung auf der Notfallstation bei erneutem Anfall und zunehmendem Schulabsentismus. Die Körperuntersuchung inklusive Neurostatus ist normal, der Blutdruck beträgt 100/60 mmHg. Anamnese und Status sowie eine positive Familienanamnese erlauben die klinische Diagnose einer Migräne mit Aura. Die Eltern werden über die empfohlenen Verhaltensmassnahmen informiert und es wird eine Anfallstherapie mit Paracetamol installiert sowie ein Kopfschmerzkalender zur Verlaufsdokumentation abgegeben.
14-jähriges Mädchen wird im Spätsommer aufgrund einer akuten Gesichtslähmung vorgestellt. Die ansonsten gesunde Patientin ist Orientierungsläuferin, ein Zeckenstich wird verneint. Die neurologische Untersuchung bestätigt eine einseitige periphere Facialis-Parese. Die restliche neurologische Untersuchung inklusive Fundoskopie ist bland. Die Liquoruntersuchung zeigt eine lymphozytäre Pleozytose sowie ein erhöhtes Protein bei leicht erniedrigter Glucose. Die Serologie zeigt intrathekale Borrelien-Antikörper. Aufgrund der Diagnose einer Lyme Borreliosen assoziierten Fazialisparese wird eine durch die lokale Kinderspitex durchgeführte ambulante intravenöse Therapie mit Ceftriaxon für 14-21 Tage installiert.
3-jähriger Knabe stürzt auf dem Spielplatz aus 3 Meter Höhe von einer Rutschbahn auf einen Betonboden. Nach einem kurzen Aufschrei verliert er für 3 Minuten das Bewusstsein. Danach klagt er über starke Kopfschmerzen und ist verwirrt. Bei Eintritt auf die Notfallstation 30 Minuten später beträgt der GCS 12. Eine CT-Untersuchung des Schädels zeigt eine die A. meningea media überkreuzende Schädelkalottenfraktur links. Der Knabe wird mit der Diagnose eines mittelschweren Schädelhirntraumas mit Schädelkalottenfraktur für 4 Tage hospitalisiert. Eine Blutung tritt nicht auf und die Neurologie verbessert sich prompt. Die Gemeinde wird gebeten, die Sicherheit der Rutschbahnanlage zu überprüfen.
10-jähriges Mädchen zeigt unkontrollierte Augenbewegungen beidseits sowie ataktische Bewegungen seit 3 Tagen. Zwei Wochen zuvor hat sie eine Pneumonie durchgemacht. Auf der Notfallstation zeigt die Patientin stark einschränkende, chaotische Augenbewegungen sowie eine Ataxie der Extremitäten, welche sie im Gehen behindern. Die Neuropädiater bestätigen das Bild eines Opsoklonus-Myoklonus-Syndroms. Ein Neuroblastom konnte mit normaler 24-h Catecholamin-Ausscheidung im Urin sowie normaler Bildgebung ausgeschlossen werden. Die infektiologische Aufarbeitung zeigte eine kürzlich durchgemachte Mykoplasmeninfektion. Unter der bei Mykoplasmen assoziierten Opsoklonus-Myoklonus Syndrom installierten Steroid-Therapie bildeten sich die Symptome innerhalb von 4 Wochen vollständig zurück.
Für das Management von neurologischen Notfällen im Kindesalter bedarf es für den Kliniker einer minimalen Werkzeugkiste an Wissen und Fertigkeiten. Entscheidend ist es in einem ersten Schritt, sich mit einer kurzen Anamnese und einem orientierenden Neurostatus (Tabelle 1) inklusive pädiatrischem GCS (Tabelle 2) ein Bild über die vorliegende Symptomatik zu machen. Für die Erstbeurteilung ist es essentiell, einen lebensbedrohlichen Zustand mit sofortigem Handlungsbedarf zu erkennen oder auszuschliessen (Tabelle 3).
Die meisten epileptischen Anfälle im Kindesalter sind auf der Notfallstation selbstlimitierend oder sprechen auf einfache medikamentöse Massnahmen an. Zur Beurteilung der Aetiologie ist eine gute Dokumentation von Art, Lokalisation und Dauer des Krampfgeschehens wesentlich. Sistiert das Krampfereignis nicht innerhalb von 3-5 Minuten, so sind medikamentöse Massnahmen zur Krampfunterbrechung angezeigt (Tabelle 4). Parallel zur Notfallbehandlung oder spätestens nach Sistieren des Krampfereignisses werden die häufigsten Differentialdiagnosen (Tabelle 5) durchgegangen, um das weitere Prozedere festzulegen.
Bei potentiell harmlosen Ereignissen, wie beispielsweise einem Fieberkrampf, müssen komplizierende Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden, die bakterielle Meningitis steht dabei sicherlich im Vordergrund (Tabelle 6).
Zu den häufigsten neurologischen Notfällen im Kindesalter gehört das Schädelhirntrauma. Unfallhergang und Schweregrad sind für das weitere Vorgehen von grösster Bedeutung. Fälle von Kindsmisshandlung müssen erkannt werden. Das einfache Schädeltrauma bedarf in der Regel keiner weiteren Überwachung. Beim leichten Schädelhirntrauma ist dagegen im Zweifelsfall die Durchführung einer Bildgebung rasch in Erwägung zu ziehen. Mittelschwere und schwere Schädelhirntraumata bedürfen einer unverzüglichen Zuweisung in ein pädiatrisches Zentrum (Tabelle 7).
Kopfschmerzen sind für Kinder oft quälend und meist stellt der Schmerz die wichtigste Notfallindikation dar. Die Ursachen für Kopfschmerzen (Tabelle 8) sind vielfältig und meist nicht lebensbedrohlich. Der Schmerz als Alarmzeichen für eine ernsthafte Grunderkrankung mit akutem Handlungsbedarf darf jedoch nicht verpasst werden (Tabelle 9).
Zustandsbilder und Ursachen akuter neurologischer Krankheiten im Kindesalter sind sehr vielfältig. Neben einem Basiswissen bezüglich der häufigsten neuropädiatrischen Notfallsituationen, ist die sorgfältige Anamneseerhebung und klinische Untersuchung die Grundlage, um Kinder mit neurologischen Symptomen im allgemeinen Notfalldienst adäquat zu beurteilen, lebensbedrohliche Zustände zu erkennen und eine kompetente Erstversorgung durchzuführen.