Nicht ohne Grund hat die Verbindung von Medizin und Musik eine jahrtausende alte Tradition. Musik findet sich auch heute noch in den Heilritualen fast aller Völker. Auch die Bibel berichtet vom Einsatz von Musik zu Heilzwecken. Bis zum Mittelalter waren Ärzte auch Musiker und die musikalische Ausbildung war Teil des medizinischen Studiums.
In der ganzheitlichen Medizin wird diese alte Wurzel der Heilkunst neu entdeckt. In den letzten 30 Jahren haben zahlreiche Studien die signifikante Wirkung von Musik auf den Organismus erforscht. Hier ist vor allem die gross angelegte Forschungsreihe zur Wirkung von Musik auf das Schmerz-empfinden von Prof. Ralph Spindtke aus Hamburg erwähnenswert. Er konnte nach-weisen, dass mit Hilfe von Musik erhebliche Einsparungen von Schmerzmitteln (bis zu 50%) und Beruhigungsmitteln (bis zu 100%) möglich sind. Diese positiven Ergebnisse haben mit dazu beigetragen, dass die Musiktherapie seit 2005 als Regelverfahren innerhalb der multimodalen stationären Schmerztherapie Eingang in den Fallpau-schalenkatalog (DRG-Katalog) für stationäre Leistungen gefunden hat.
Bei ganzheitlicher Betrachtung zeigt sich Schmerz als ein mehrdimensionales Phänomen, das den Menschen, ähnlich wie die Musik, ganzheitlich erfasst. Schmerzen bein-halten immer die Erlebnisqualität von Erstarrung im körperlichen, seelischen und sozialen Bereich. Die Erstarrung als psychodynamische Begleiterscheinung von chronischen Schmerzen macht sich auch in einer Einschränkung des emotional--expressiven Ausdrucks bemerkbar. Ein möglicher Ausweg daraus ist die Flexibilisierung, wie sie durch musiktherapeutische Verfahren erreicht werden kann.
Musik wirkt nachweisbar auf biologisch-physikalischem Weg und berührt ebenso Geist und Seele des Menschen. Sie wirkt bereits im Unterbewusstsein z.B. wenn sie in einem Spielfilm Spannung erzeugt, im Kaufhaus zum Kaufen anregt oder in der U-Bahn beruhigt. Musiktherapie nutzt gezielt Klänge, Töne und Schwingungen, um über eine Veränderung der Wahrnehmung und des Erlebens schmerzstillende regulatorische Prozesse in Gang zu setzen. Zum Einsatz kommen leicht spielbare Musikinstrumente aus aller Welt, wie Gongs, Klangschalen, Trommeln, Monochord, Didgeridoo u.a. sowie Klangwiege und die Stimme. Eine musikalische Vorbildung ist für den Patienten nicht erforderlich. Man kann davon ausgehen, dass die Wirksamkeit von Musik mit einer erhöhten Wahrnehmungsbereitschaft des Hörers und einer grösseren Spezifizierung der Musik zunimmt. Je besser die Musik auf den Patienten abgestimmt ist und je besser dieser sich der Musik hingeben kann, desto wirksamer ist sie. Dement-sprechend ist die Wirkung von Musik am stärksten im Beisein eines zugewandten Therapeuten, der die von Musik geprägte Biografie des Patienten berücksichtigt. Besonders wirksam ist Musik, die vom Patienten nicht nur auditiv mit den Ohren, sondern auch vibrotaktil mit dem ganzen Körper erfahren wird. Dies ist zum Bespiel bei der Verwendung eines Liege-Monochords und dessen unterschiedlichen Modellen wie Klangbett, Klangstuhl und Klangwiege der Fall. Im Sokrates Gesundheitszentrum Bodensee konnte in einer Pilotstudie die schmerzlin-dernde Wirkung der akus-tisch-vibratorischen Stimulation mit der Klangwiege nachgewiesen werden.
Oftmals entlastend ist es für den Patienten, wenn er in der Musiktherapie die Möglichkeit erhält, seinen verbal nicht zu beschreibenden Schmerzen einen musikalischen Ausdruck zu verleihen und diese damit externalisiert. Ebenso nachgewiesen ist die Möglichkeit Schmerzen mit Hilfe des einfachen Singens, Schnurrens und Tönens zu modifizieren. Im aufnahmebereiten Zustand und in der entspannten Konzentration treten Schmerzen, Ängste und die damit einhergehenden kreisenden Gedanken in den Hintergrund. Stattdessen tun sich in der Musik häufig positiv geladene innere Bilder und Empfindungen auf und erzeugen Wohlbefinden. Diese repräsentieren eine schmerzfreie zeit- und raumlose Realität, die im Alltag von Schmerzpatienten häufig nicht mehr erfahren wird.
Musik kann die Kluft zwischen der sichtbaren materiellen Welt und der inneren emotionalen Welt problemlos überwinden. Gerade in diesem Grenzbereich steckt ein enormes Heilungspotenzial. Darin enthalten ist eine psychische Energie, die transformativ wirkt und tiefgreifend verändern kann. Eine veränderte Wahrnehmung der eigenen Person kann helfen über den Schmerz hinauszuwachsen und die Verbundenheit mit allem wieder zu spüren. Die Schönheit und Tiefe der Musik ist in der Lage dem Patienten auch die Gewissheit zu vermitteln, dass ihm ständig eine höhere Macht zur Seite steht, die ihm Stärke und Unterstützung zukommen lässt. Musiktherapie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Behandlung überwindet. Sie kann physische, psychische und soziale Einflüsse geltend machen und dabei seelisch und spirituell berühren. Die Erfahrungen reichen weit über die Grenzen der Verbalisierungsmöglichkeiten hinaus. Indem die Musiktherapie dem Patienten ein Gefäss für Emotionen und Unaussprechliches zu Verfügung stellt, hilft sie der Medizin bei der Einlösung ihres Anspruchs nach echter Ganzheitlichkeit.