Die Radioonkologie ist ein vergleichsweise junges Fach wenn man bedenkt, dass Conrad Röntgen im ausgehenden 20. Jahrhundert die Röntgenstrahlung (Abbildung 1) entdeckt hat. Relativ rasch etablierte sich die diagnostische Radiologie und mit der Erkenntnis, dass Strahlung mit höherer Energie tumorizide Wirkung hat auch die therapeutische Radiologie. Waren die diagnostische und therapeutische Radiologie initial noch in einem Fach subsummiert, trennten sich die Fächer im deutschsprachigen Raum spätestens in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in zwei unterschiedliche Disziplinen auf. Heute stellt die Bezeichnung Radioonkologie anders als die frühe Fachbezeichnung Strahlentherapie den engen fachlichen Zusammenhang zur Onkologie in den Vordergrund.
Schon bald nach dem Einsetzen der Strahlung als therapeutisches Agens zeigten sich deren Möglichkeiten aber auch deren Grenzen auf. Eine der ersten dokumentieren Bestrahlungen eines Mammakarzinoms (Abbildung 2) zeigt eindrücklich wie wenig Kenntnis man hinsichtlich des Strahlenschutzes hatte. Mit der Zeit fanden sich bei den radiologisch tätigen Ärzte aber auch bei deren Assistenten Folgeschäden durch die Bestrahlung respektive durch den fehlenden Strahlenschutz. Typischerweise waren dies in den Anfangsjahren bedingt durch eine erhebliche Strahlenexposition im Bereich der Akren das sogenannte Radioderm mit nekrotischen Fingerkuppen und -endgliedern (Abbildung 3). Das strahlenbiologische Verständnis hat sich innerhalb von 100 Jahren grundlegend gändert. Hier stand im Zentrum stets die Erholungsfähigkeit von malignen Zellen nach einer Bestrahlung zu vermindern und gleichzeitig gesunde Zellen bestmöglich zu schützen. Dies konnte durch technische Erneuerungen von Bestrahlungsgeräten aber auch durch veränderte Fraktionierung (Verabreichung der Einzeldosis) und die Hinzugabe von Chemo-, Hormon- und/oder Immuntherapien ermöglicht werden. Mit der verbesserten und genaueren Bestrahlungstechnik und den zunehmenden Behandlungserfolgen durch die Radiotherapie hat sich auch der Behandlungsansatz von malignen Erkrankungen verändert. Heute ist dies eine interdisziplinäre Therapie in der die operativen Disziplinen, die medizinischen Onkologen und die Radioonkologen bei den meisten Tumorentitäten gemeinsam in der Therapie multimodal ansetzen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts definierten Jean Bergonié und Louis Tribondeau die strahlenbiologische Gesetzmässigkeit, dass verschiedene Zellen eine unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit haben. Seither wurde aus radioonkologischer Sicht versucht durch ändern der Einzeldosis oder auch der Fraktionierungsart (z.B. ein- oder mehrmals am Tag, 6 mal pro Woche) die tumorizide Wirkung zu erhöhen bei gleichzeitiger Schonung des Normalgewebes. Strahlenbiologische Erkenntnisse zeigten den Zusammenhang zwischen bestrahltem Volumen und applizierter Dosis auf. Dies wird im Dosis-Volumen-Histogramm ersichtlich. Sauerstoffmangel und Hyperthermie haben einen Einfluss auf das Zellüberleben nach Bestrahlung. Vor allem beim Zervixkarzinom konnte dieser Zusammenhang für die Anämie und den Einfluss auf das Überleben gut belegt werden. Temperaturerhöhungen werden heute mittels der sogenannten Hyperthermie durchgeführt und haben zum Ziel Tumorzellen empfindlicher für die Bestrahlung zu machen. Zusammenfassend kann aber immer noch gesagt werden, dass die Radioonkologie sich auf einem schmalen Grad zwischen gewünschter Wirkung am Tumor und unerwünschten Nebenwirkungen am Normalgewebe bewegt. Durch neuere Techniken konnte aber erzielt werden, dass die Bestrahlungsapplikation genauer geschieht, was zur Folge hat, dass das Normalgewebe besser geschont und noch präziser bestrahlt werden kann. Dadurch ist die Radiotherapie innerhalb der letzten 20 Jahre deutlich verträglicher geworden. Die Strahlenfrüh- und Spättoxizitäten haben deutlich abgenommen.
Die veraltete 2D simulationsbasierte Radiotherapie orientierte sich an knöchernen « landmarks » zum Einstellen der Bestrahlungsfelder. Hier war das zu bestrahlende Volumen gross, da nicht auf die individuelle Anatomie eingegangen wurde. Die 3-D basierte Radiotherapie schaffte es mittels computertomographischer Planung die Bestrahlungsfelder deutlich zu verkleinern. Die intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT) stellt eine Weiterentwicklung der 3D-konformierenden Radiotherapie dar : Zusätzlich zur Einstrahlrichtung und Form kann die Intensität der Strahlen optimiert (= moduliert) werden. Dadurch wird die Dosis noch enger an das Zielvolumen angepasst. Dieser bedeutende Schritt hin zur intensitätsmodulierten ermöglicht heute ein sehr exaktes Bestrahlen im mm Bereich (Abbildung 4). Neuere Entwicklungen zeigt die stereotaktische Intra- und Extrakranielle Radiotherapie wo z.B. bei kleinen Lungentumoren das Therapieergebnis bei nodaler Negativität mit jenem der Operation vergleichbar ist (Abbildung 5). Bei intrakraniell gelegenen Tumoren spielt die räumliche Enge eine wesentliche Rolle für die Stereotaxie. Hier können kleine Metastase oder auch hirneigene Tumoren dauerhaft kontrolliert werden (Abbildung 6, 7).
Bezüglich der veränderten Fraktionierungsschemata hat sich in den letzten Jahren zunehmend die Hypofraktionierung bemerkbar gemacht. Hier werden pro Tag höhere Einzeldosen appliziert und somit die Gesamtbehandlungsdauer verkürzt. Beispiele hierfür sind die Hypofraktionierung beim Mammakarzinom (3 Wochen) oder ganz neu die Hypofraktionierung beim Prostatakarzinom (4 Wochen). Teilweise wurden diese Neuerungen auch in die internationalen Leitlinien übernommen, zum Teil wird dies erst noch erfolgen.
Zu erwähnen bleiben Hauttumoren, die vor allem bei älteren Patienten in sonnenexponierten Gesichts- oder Kopfarealen auftreten (Basaliome, kleine Spinaliome, Lippenkarzinome). Diese können mittels Orthovolttherapie als valable Alternative zur Resektion mit nahezu identischen und oft deutlich besseren kosmetischen Resultaten behandelt werden (Abbildung 8, 9). Die Orthovolttherapie hat als Bestrahlungsgerät Röhrenspannungen von ca. 50 bis 200 kV zur Verfügung. Dabei ist das Charakteristikum dieser Strahlung die nur geringe Eindringtiefe. Vor allem bei älteren Patienten kommt hier oft die einmal pro Woche stattfindende Bestrahlung zur Anwendung.
Bei den gutartigen entzündlichen Erkrankungen hat sich die entzündungshemmende Radiotherapie seit langem etabliert. Hier kann mit sehr niedrigen Einzeldosen eine bleibende Beschwerdefreiheit oder zumindest eine Verbesserung der Symptomatik erzielt werden. Zu diesen Erkrankungen zählen die Epicondylitis lateralis humeri, das Beschwerdebild beim Fersensporn, Fingergelenksarthrosen, aber auch die Dupuytrensche Kontraktur und die Keloidbestrahlung.
▪ Durch die technische Entwicklung kann heute präziser und gewebeverträglicher bestrahlt werden, die Nebenwirkungen haben sich deutlich reduziert
▪ Die Radioonkologie ist eine wesentliche Disziplin in der Behandlung von Malignomen
▪ Bei Basaliomen und Spinaliomen können identische Kontrollraten erzielt werden wie bei der Resektion, oftmals ist das kosmetische Ergebnis vor allem im Gesicht besser