« Es gibt für die Menschen, wie sie heute sind, nur eine radikale Neuigkeit – und das ist immer die gleiche : der Tod »
Walter Benjamin
Dass Krebs eine somatische Krankheit ist, steht unbestreitbar fest. Alle Theorien zur Ätiologie psychischer Faktoren gehören aus wissenschaftlicher Sicht bis heute ins Reich der Spekulationen. Keine Spekulation hingegen ist es, dass eine Krebsdiagnose den bisherigen Lebensweg eines Menschen radikal unterbricht und dass sie über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg über körperliche Probleme hinaus auch Auswirkungen auf das psychische Befinden hat. Prävalenzzahlen psychischer Störungen bei Krebspatienten zeigen klar, dass zirka ein Drittel der Patientinnen und Patienten emotional belastet ist oder sogar die Kriterien einer psychischen Störung erfüllt.1 Es besteht eine hohe Rate an komorbiden depressiven Störungen und Angststörungen, die sich nachteilig auf den Behandlungs- und Krankheitsverlauf auswirken.2 In diesem Artikel wird die Situation nach Diagnosestellung sowie nach Beenden der Therapien (Chemo-/Radiotherapie) und ohne Nachweis von Metastasen beschrieben.
Die psychischen Reaktionen, die auf eine Krebsdiagnose folgen, sind unterschiedlich. Patienten berichten beispielsweise, dass sie sich nach der schlechten Nachricht zunächst wie gelähmt fühlen, sich wie in Watte gepackt wahrnehmen oder eine grosse innerliche Anspannung spüren, eingefroren oder angetrieben sind. Andere berichten von Trauer oder Wut. Vielfach wirkt eine Krebsdiagnose wie ein « Sturz aus der normalen Wirklichkeit », wie es der Medizinsoziologe Nikolaus Gerdes3 Mitte der 1980er Jahre beschrieben hat. Sie stürzt viele Betroffene in eine existentielle Krise. Die in der « normalen Wirklichkeit » gut funktionierende gesunde Verdrängungsleistung in Bezug auf unsere Endlichkeit versagt im Moment des Erfahrens der Diagnose, Gedanken an den Tod machen sich breit, ja drängen sich auf.4 Diese werden innerhalb der Gesellschaft, in der Krebs immer noch häufig mit Tod gleichgesetzt wird, zusätzlich unterstützt.
Obwohl die Datenlage nach wie vor nicht gesichert ist, werden Studien zufolge rund ein Drittel der Patienten durch die Diagnose selbst oder die Art der Mitteilung einer möglicherweise infausten Erkrankung psychisch traumatisiert.5 Das heisst, der Patient steckt bei der Diagnosestellung in einer Situation, in der er bestimmte (psychische) Bewältigungsstrategien bräuchte um die Situation gut zu überstehen, diese aber in der von ihm als lebensbedrohlich erlebten Lage nicht zur Verfügung hat. Er fühlt sich demzufolge ausgeliefert und erlebt absolute Hilflosigkeit. Patienten sind in diesen Situationen sehr sensibel für die Art und Weise, wie ihnen Informationen vermittelt werden und wie gut sie sich hinsichtlich ihrer Sorgen vom Gegenüber verstanden und ernst genommen fühlen. In dieser Lage ist nicht nur der Patient, sondern auch der behandelnde Arzt extrem gefordert. Eine angepasste ärztliche Gesprächsführung, also kommunikative Kompetenz, ist unerlässlich für eine weitere vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung und kann die Krankheitsverarbeitung im Idealfall positiv beeinflussen.
Sofern keine Hinweise auf Metastasierung oder ein Fortschreiten der Erkrankung bestehen, scheint alles überstanden zu sein. Die meisten Patienten sehnen sich während der Chemo- und/oder Radiotherapie sowie nach der Operation nach dieser Zeit, in der auch Arzttermine wieder seltener werden. Oft beginnt aber Studien zufolge und aus Erfahrung in der Arbeit mit Krebspatienten erst jetzt – in der Remissionsphase – die eigentliche Krankheitsverarbeitung. Zweifel und Ängste machen sich breit, der Patient hat wieder mehr Zeit für sich, und die während der Behandlungsphase zurückgestellte psychische Ebene verlangt nach Aufmerksamkeit. Für diese Phase typische Gedanken sind : « Bin ich nun gesund oder krank ? » « Ich muss eine positive Einstellung bewahren », « Kommt der Krebs wieder ? », « Kann ich wieder zur Normalität zurückkehren ? ». Was aber ist die Normalität ? Ein Leben wie zuvor gibt es nicht mehr und viele berichten über eine Art Schein-Normalität. Auch Schwierigkeiten, ihre Angehörigen weiterhin mit der Erkrankung zu belasten, machen sich breit. Für manche Familienmitglieder ist nun häufig alles vorbei und hat sich wieder zum Guten gewendet, der Patient selber hingegen fühlt sich als « Hinterherhinkender ».
Auch wenn die Krankheit vorerst überwunden ist, schwebt die Rezidivangst wie ein Damoklesschwert über dem Betroffenen. Nun gilt es, einen Umgang mit dieser Unsicherheit zu finden. Häufig ist das Vertrauen in den Körper, der vielleicht keinerlei Zeichen vor der Diagnosestellung gesendet hat, verloren. Dieses wieder aufzubauen, sich selbst, seinem Körper und der Umgebung wieder zu trauen bedarf Zeit und Auseinandersetzung. Manche Patienten nutzen diese Zeit der Neuorientierung, um lange Erwünschtes umzusetzen oder Neues auszuprobieren. Dies ermöglicht zuweilen, dass Betroffene der Krankheit – so existentiell, belastend und schwierig sie auch war – etwas Positives abgewinnen können. Auf der anderen Seite leidet – je nach Tumorentität – ein Drittel aller Krebspatienten an einer psychischen Störung. Diese Menschen schaffen es nicht, sich in ihrer Rolle neu zu definieren oder Motivation und Ziele zu finden um ihr Leben wieder erträglich leben zu können. Wenn nicht schon früher erfolgt, sollte spätestens in diesen Situationen eine Fachperson mit Ausbildung in Psychotherapie/Psychoonkologie hinzugezogen werden.
Nach Diagnosestellung und/oder im Verlauf einer Krebserkrankung weist ein substanzieller Anteil von Patienten (und häufig auch Angehöriger) psychische Belastungsreaktionen auf, die sich bis hin zu psychischen Störungen und psychosozialen, existentiellen Krisen entwickeln können. Im Wissen darum, dass sich psychische Störungen negativ auf den Behandlungs- und Krankheitsverlauf – insbesondere auf die Lebensqualität – auswirken, sollten diese unbedingt ernst genommen werden. Neben ärztlicher Kommunikationskompetenz ist eine gute Zusammenarbeit mit Professionellen, die über eine Ausbildung in Psychoonkologie/Psychotherapie verfügen, gefordert. Sofern interessierte Hausärzte nicht über Kontakte mit diesen Fachpersonen verfügen, können die behandelnden Onkologen, die kantonalen Krebsligen oder die Schweizerische Gesellschaft für Psychoonkologie (www.psychoonkologie.ch) entsprechenden Kontakte vermitteln.